Dezember 2008

Interview zum 300. Geburtstag von Albrecht von Haller

Albrecht von Haller hat durch seine grausamen Vivisektionen traurige Berühmtheit erlangt, daneben aber auch Verdienste in anderen Wissenschaftsrichtungen.

In einem Interview für die Ausstellung im Historischen Museum Bern erhielten wir Gelegenheit, unsere Sicht zu Haller und der Tierversuchsproblematik darzulegen. Die hier abgedruckte Version ist ausführlicher als die Interviewversion.


Interview mit Dr. med. Markus Deutsch, FMH Innere Medizin, zum 300. Geburtstag von Albrecht von Haller

Auf der Website Ihrer Organisation werden auch die Tierversuche Hallers erwähnt. Wie schätzen Sie diese Versuche ein?

Die Versuche von Haller sind an Grausamkeit nicht zu überbieten, wurden ohne jede Rücksicht auf die Versuchstiere durchgeführt und sind deshalb völlig unabhängig vom Erkenntnisgewinn nicht zu verantworten.

Sie sind ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das durch nichts zu rechtfertigen ist.

Man kann ihn auch nicht entschuldigen mit dem Argument, dass damals Tiere als empfindungslose Maschinen gesehen wurden.

Haller selbst hat die Grausamkeit seiner Experimente voll erkannt, was bewiesen ist dadurch dass er selbst von «mir selbst verhassten Grausamkeiten» sprach, «die aber doch der Nuzen für das menschliche Geschlecht, und die Nothwendigkeit entschuldigen werden».

Auch die fundamentale Bedeutung seiner Vivisektionen möchten wir stark bezweifeln. Die angestrebten Erkenntnisse wären zweifelsohne auch mit weniger grausamen Versuchsanordnungen zu erreichen gewesen. 

Abgesehen davon kann man davon ausgehen, dass wissenschaftlicher Fortschritt immer stattfindet, weltweit, auch wenn Beiträge von einzelnen Personen fehlen.

Wenn die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Entdeckung vorhanden sind, dann wird sie auch früher oder später gemacht. Hiervon kann man sicht selbst überzeugen bei jeder Verleihung von Nobelpreisen: auffallend oft werden Preise an 2 oder mehr Forscher verliehen, die unabhängig voneinander die gleiche Entdeckung gemacht haben.

Haller hat also selbst bereits eine Güterabwägung gemacht, die aber, wie die meisten Forscher es noch heute tun, den Nutzen der Experimente viel zu hoch und das Leiden seiner Tiere viel zu gering eingeschätzte.

Die 2005 überarbeiteten ethischen Richtlinien für Tierversuche der Akademie

für Medizinische Wissenschaften (SAMW) und der Akademie für Naturwissenschaften, halten fest, dass bestimmte  Versuchsanordnungen für Tiere voraussichtlich mit derart schwerem Leiden verbunden sein können, dass eine Güterabwägung immer zugunsten der Tiere ausfallen würde.

Auf solche Versuche sei deshalb zu verzichten, auch wenn damit auf den erhofften Erkenntnisgewinn verzichtet werden muss.


Gibt es Bedingungen, unter denen Tierversuche durchgeführt werden dürfen? 

Das Prinzip ist ganz klar: wenn ein Tierversuch dem Tier wenig schadet und wesentliche Erkenntnisse zu erwarten sind, dann ist ein Tierversuch erlaubt. So steht es auch im Gesetz. Man spricht von einer Güterabwägung.

Der Teufel liegt jedoch im Detail: Jeder wertet anders.

Der hoch spezialisierte Forscher, der schon ein Leben lang sich mit der Funktion eines bestimmten Organs beschäftigt, findet natürlich jede noch so kleine neue Erkenntnis auf diesem Gebiet von überragender Bedeutung.

Gleichzeitig ist es erwiesen, dass Forscher das Leid für die Tiere meist als zu gering einschätzen.

Dementsprechend ist ein Forscher rasch gewillt, einen Tierversuch für seinen Fachbereich für gerechtfertigt zu halten.

Wir vertreten die Auffassung, dass nur Tierversuche erlaubt sind, wenn die Belastung für die Tiere minimal ist oder wenn der Erkenntnisgewinn zu einer unmittelbar umsetzbaren Behandlung führen würde.

Hier noch ein paar Beispiele, welche Versuche unseres Erachtens NICHT durchgeführt werden dürften:

-          Tierversuche zu Herstellung des vielfach zur Faltenglättung verwendeten Mittels Botox, bei denen Hunderttausende Mäuse jährlich qualvoll sterben, damit ein paar Menschen für ein paar Monate ein paar Falten weniger haben

-          Die geplanten Tierversuche zur Nachtestung von 30'000 Altchemikalien, wofür ca. 12 Millionen Versuchstiere vergiftet werden sollen, im sogenannten Projekt REACH der EU. Hier steht einem äusserst vagen Gewinn der sichere und oft qualvolle Tod von Millionen von Versuchstieren gegenüber

-          Weiter wehren wir uns gegen belastende Versuche mit differenzierten Tieren wie Hunden und Affen in der Grundlagenforschung, also wenn kein unmittelbarer Nutzen des Projekts absehbar ist.

Ganz generell möchten wir aber auch auf das Problem mit dem heutigen Sicherheitsdenken hinweisen:

Um ein winziges Risiko für den Menschen auszuschliessen, sind wir bereit Tausende von Tierversuchen zu machen (Beispiel REACH zur Nachtestung von Altchemikalien).

Um das Risiko durch Autofahren oder Rauchen zu mindern, sind wir aber oft nicht bereit, mit dem Rauchen aufzuhören oder langsamer autozufahren.

Anders ausgedrückt: auf Seiten der Versuchstiere ist uns kein Opfer zu gross, und selbst sind wir kaum bereit, etwas zur Risikoreduktion beizutragen.

Dies ist eine massive Ungerechtigkeit im Denken unserer heutigen Gesellschaft, gegen die wir uns wehren.



Eine Frage an den Leser:

Würden Sie Ihren Hund hergeben um zu testen, ob ein alter Unkrautvernichter, der versehentlich geschluckt wird, giftig ist?

Wenn Nein, würden Sie dann verlangen, dass Ihr Nachbar seinen Hund hierfür hergibt?

Wenn nein, finden Sie es dann gerecht, dass ein weniger glücklicher Hund, der nicht in einem Heim wohnt, sondern in einem Versuchslabor, sein Leben hierfür hergeben muss?


Wären Tierversuche, die zur Heilung von leukämiekranken Kindern führen würden, auch nicht erlaubt?

Dies ist eine falsche Frage. Sie geht von einem falschen Modell aus. Es gibt nicht einen Tierversuch, mit dem Sie Leukämie heilen können. Sie können auch nicht mit 1000x mehr Tierversuchen 1000x mehr Krankheiten heilen.

Die Realität sieht eher so aus, dass man beispielsweise ein Medikament an 1000 Ratten, 80 Hunden und 10 Primaten testet um herauszufinden, ob man vielleicht bei einer bestimmten Leukämieform in einem bestimmten Alter des Patienten in einem bestimmten Stadium der Krankheit bei einem bestimmten Prozentsatz der Kinder das Leben um 10 Monate verlängern kann und wie viele Nebenwirkungen das Kind für diese 10 Monate erleiden muss.

Daneben gibt es aber massenhaft Grundlagenversuche, in denen man hofft, mehr oder minder zufällig mal auf einen grünen Zweig zu kommen. Dies heisst dann Grundlagenforschung, weil kein praktischer Nutzen absehbar ist.

Sofern die ersten Versuche mit Nagern gemacht werden können und diese für die Versuchstiere nicht übermässig belastend sind, halten wir diese für verantwortbar. Vielleicht sind kurz vor der Anwendung am Menschen auch noch einige wenige Versuche an höheren Säugetieren zu verantworten bei aussergewöhnlich vielversprechenden Projekten.

Man darf aber nicht vergessen, dass alleine in der Schweiz im Jahr 2007 725'000 Tierversuche gemacht wurden!

Diese Zahl halten wir für inakzeptabel hoch.


Was sagen Sie Forschern wie Martin Schwab, die behaupten, sie könnten Ihre Forschung nur an Tieren durchführen? Sollten wir auf diese Form von Forschung verzichten?

Wir wollen weder auf medizinischen Fortschritt noch auf Forschung verzichten, wir sollten diese aber mit weniger Tierversuchen durchführen!

Professor Schwab hat eine wirklich sehr interessante Entdeckung gemacht mit seinen Nogo-Antikörpern zur Behandlung von akuten Rückenmarksverletzungen, und auch ich hoffe sehr, dass sie bald zu Erfolgen am Menschen führt. 

Wir haben aber auch einige Bedenken:

1. Wir warten schon seit 20 Jahren auf die versprochenen Erfolge am Menschen!

2. Rückenmarksverletzungen in der Realität sind meist Rissquetschwunden und entsprechen nicht den kleineren sauberen chirurgischen Schnitten in den Tiermodellen. Es fragt sich somit, inwieweit die Tierversuchsergebnisse auf den Menschen übertragen werden können

3. Affen verraten möglichst keine Schmerzen, Schmerzen als Nebenwirkung sind somit in Affenversuchen nur schwer zu erkennen.

4. Zu viele Tierversuche sind in den letzten Jahren unter dem publikumswirksamen Deckmantel der Tierversuche zur Heilung von Querschnittsgelähmten durch die Tierversuchskommissionen geschleust worden, obwohl es sich vielfach um Grundlagenforschung an Primaten handelte.