Tierversuchskommission
Tierversuchskommissionen haben die Aufgabe, den Antrag für einen Tierversuch kritisch zu prüfen.
Sie sollen überprüfen
- ob der Versuch sinnvoll ist und einen Nutzen erwarten lässt (finale Unerlässlichkeit)
- ob das Leiden der Versuchstiere hierfür zu rechtfertigen ist (Güterabwägung)
- ob die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind
- ob sich das Leiden der Versuchstiere im Versuch mindern lässt (3R).
Hierbei sind sie angehalten sich an das 'Prinzip 3R' zu halten, das besagt, dass zu prüfen ist, ob der Versuch durch eine tierversuchsfreie Methode ersetzt werden könnte (Replace), die Anzahl Versuchstiere reduziert werden könnte (Reduce) oder der Versuch anders durchgeführt werden könnte, damit die Tiere weniger leiden (Refine).
Die Kommission setzt sich aus tierversuchsfreundlichen Forschern zusammen sowie aus Tierschutzvertretern, wobei vorgegeben ist, dass diese immer in deutlicher Unterzahl sind und somit die Tierschutzvertreter sicher keinen Tierversuch verhindern können (Ausnahme: Rekursrecht Kanton Zürich).
Grundsätzlich müsste nun jedes Kommissionsmitglied jeden Versuch nach all diesen Kriterien überprüfen. Dann müsste man gemeinsam entscheiden, ob dieser Tierversuch wirklich unerlässlich ist.
Tatsache ist, dass die Bewilligungsquote bei 99% liegt.
Es wird also praktisch kein Versuch je abgelehnt, und wenn doch, dann oft aus formalen Gründen.
Diese Bewilligungsquote beweist, dass das System nicht funktioniert.
Warum ist das so?
Einerseits ist es eine riesige Arbeit, einen solchen Tierversuchsantrag seriös zu überprüfen, womit die Zeit meist nicht reicht.
Weiter müsste man, um einen Versuch wirklich zu hinterfragen, andere, konkurrierende Forscher fragen können, ob die Unerlässlichkeit wirklich gegeben ist und ob nicht tierversuchsfreie Alternativen bestehen.
Dies ist aber praktisch verunmöglicht durch das Amtsgeheimnis.
Kein Kommissionsmitglied darf ausserhalb der Kommission über einen Versuch sprechen. Also ist es auch nicht möglich, sich Expertenmeinungen zu holen. Begründet wird dies mit Patentrechten, Schutz des geistigen Eigentums etc.. Rein theoretisch wäre die Anfrage erlaubt, solange man eben kein geistiges Eigentum etc verletzt. Da man hier aber nie ganz sicher sein kann, müssen die Kommissionsmitglieder sicherheitshalber davon ausgehen, dass das geistige Eigentum verletzt werden könnte und sie somit das Amtsgeheimnis verletzen und sich strafbar machen.
Ein gewisses Recht auf Schutz des geistigen Eigentums bestreiten wir nicht. Es darf aber nicht die Arbeit der Tierversuchskommissionen dermassen behindern und die Vermeidung von Doppelversuchen verunmöglichen.
All dies lässt klar erkennen: der Gesetzgeber verhindert heutzutage ein sinnvolles Betreiben einer Tierversuchskommission, durch die Benachteiligung der Tierschutzvertreter und durch das Amtsgeheimnis..
Wenn man wirklich die steigenden Tierversuchszahlen vermindern will, dann muss man die Tierversuchskommissionen grundlegend reformieren.
Hierzu müssten
- Spezialisten für tierversuchsfreie Forschungsmethoden regelmässig beigezogen werden
- diese müssten von extern sein, um nicht befangen zu sein
- um diese überhaupt beiziehen zu können, müsste das Amtsgeheimnis fallen, das es derzeit den Tierversuchskommissionsmitgliedern faktisch verbietet, mit externen Personen Versuchsprojekte zu besprechen.
- um genügend Expertise zu erreichen, müssten die Spezialisten für die verschiedenen human basierten Methoden in einem Zentrum zusammengefasst werden, was kantonal nicht möglich sein wird, wegen zu geringer Zahl von Experten, sondern nur mit einer zentralen eidgenössischen Tierversuchskommission oder einem ohne Amtsgeheimnis uneingeschränkt zugänglichen 3R Zentrum wie z.B. 3RCC.
Damit das 3R Zentrum diese zusätzliche Aufgabe übernehmen könnte, müsste es finanziell und personell aufgestockt werden.
Die auf Tierrecht spezialisierten Juristen Vanessa Gerritsen und Andreas Rüttimann von der Organisation 'Tier im Recht' haben in der wissenschaftlichen Zeitschrift 'Tierethik' im April 2024 zwei detaillierte Artikel zu schweizerischen Tierversuchskommissionen geschrieben:
Vanessa Gerritsen zeigt in ihrem Paper 'Der gesellschaftliche Nutzen von Tierversuchen' auf, dass die Funktionsweise der Tierversuchskommissionen in vielerlei Hinsicht mangelhaft ist. So erfolgt die Bewertung des Erkenntnisgewinns eines Tierversuchs häufig gestützt auf blosse Empfindung. "Dieser Zustand ist unhaltbar und bedarf einer dringenden Korrektur." Weiter: "Der apodiktischen Rechtsgrundlage zur Beurteilung von Tierversuchen steht die aktuelle Bewilligungspraxis entgegen, in deren Rahmen Gesuche für Tierversuche mit unklarem gesellschaftlichen Wert und daher von fragwürdiger instrumentaler und finaler Unerlässlichkeit routinemäßig bewilligt werden."
Andreas Rüttimann zeigt in seinem Artikel 'Problematische Aspekte der Zusammensetzung der kantonalen Tierversuchskommissionen' auf, dass mit der jetzigen Zusammensetzung der Tierversuchskommissionsmitglieder die Aufgabe einer ausgewogenen Beurteilung nicht zu erfüllen ist: "Entsprechend zusammengesetzte Kommissionen vermögen die vom Gesetzgeber an sie gerichteten Erwartungen somit
nicht zu erfüllen und sind zudem mit der verfassungsrechtlich garantierten prinzipiellen Gleichrangigkeit von Tierschutz- und Forschungsinteressen nicht zu vereinbaren."
Das nächste Problem ist, dass die Tierversuchskommissionen in der Regel eher das Vorhandensein der gesetzlichen Anforderungen überprüfen und zu einem gewissen Masse die Versuchsdurchführung (Refinement), aber meistens NICHT den VersuchsZWECK hinterfragen (finale Unerlässlichkeit). Dies wurde auch im Bundesgerichtsurteil zum 'Zebrafinkenurteil' beanstandet und die Tierversuchskommission ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies auch ihre Aufgabe ist, und zwar unabhängig davon, was andere Organisationen wie z.B. der Nationalfonds vom entsprechenden Versuch halten. (Siehe Nicole Lüthi, Katerina Stoykova and Margot Michel, Animal Experimentation in Basic Research, LEOH – Journal of Animal Law, Ethics and One Health 2023, 99-112, CC BY-ND 4.0).